Rainer-Maria Rilke erfreut sich in unserer Zeit immer noch einer bemerkenswerten Beliebtheit als Dichter, auch wenn die meisten seiner Texte inzwischen über hundert Jahre alt sind. Rilke starb 1926.
Rilke hat sich auch als Worterfinder hervorgetan. Ich habe nicht alles gelesen, aber so manches Buch auf der Suche nach Schönwörtern hin durchkämmt. Die meisten dieser Begriffe stammen aus Gedichten. Vieles kann online gelesen werden, etwa bei Wikisource oder Projekt Gutenberg. Schau dir auch meine Visualisierungen an: Rainer-Maria Rilke: 10 seiner bedeutendsten Gedichte in Text & Bild
Eine Bibliothek der schönen Wörter ... Ja, es gibt sie noch, die schönen Wörter. Begriffe mit dem besonderen Klang. Wörter, die Sehnsüchte und Erinnerungen in uns hervorrufen. Die Welt von damals, sie ist noch vorhanden. Erinnerungen an Altes und längst Vergessenes. Was verloren ging, ging nie ganz, die Sprache bewahrt es für uns. Hier ist eine wunderfrohe Blütenlese in Buchform mit den schönsten Wörtern der deutschen Sprache. Jetzt ansehen
Diese Sammlung ist nicht vollständig. Die Wörter stehen hier als Beispiele für Rilkes Erfindungskunst. Vor der Jahreszahl steht jeweils das Werk, aus dem der Begriff stammt.
Liste mit Schönwörtern, die mutmaßlich oder wahrscheinlich von Rilke geprägt wurden
Diese Sammlung ist nicht vollständig. Nimm die Wörter als Beispiele für Rilkes Erfindungskunst. Vor der Jahreszahl steht jeweils das Werk, aus dem ein Begriff stammt.
- abendblass (abendblasse Scheiben) Larenopfer, 1895
- angelheiser, von einer Tür gesagt … Traumgekrönt, 1897
- Blätterleichenschau (Das Regenwasser röchelt in den Rinnen, / der matte Wind hält Blätterleichenschau) Larenopfer, 1895
- Dämmerdustgeschwel, Larenopfer, 1895
- Duftgehege, Traumgekrönt, 1897
- Flockenherde, gemeint ist eine Ansammlung von Schneeflocken, Advent, 1898
- frühfrostfahl, Advent, 1898
- Frühgras, Duineser Elegien, 1923
- frühverblaßt, Traumgekrönt, 1897
- glanzdurchsprüht, Traumgekrönt, 1897
- glückverschneit (In unsrer Brust liegt glückverschneit / goldsonniges Verstummen.) Traumgekrönt, 1897
- Götterbildermarmorweiße, Traumgekrönt, 1897
- goldübersonnt, Aus einem April
- Händeineinanderlegen, Advent, 1898
- Halbverweinter (ein Lächelnder und doch ein Halbverweinter) Das Stunden-Buch, 1905
- Heimwehaugen, Advent, 1898
- jubelschrill, Traumgekrönt, 1897
- kinderkeusch, Traumgekrönt, 1897
- lachheiß (lachheiße Wangen) Tagebücher
- lichteslüstern (Wie die Sonne zu verdüstern / sie vermochte kühn genug, / wenn die Erde lichteslüstern / grollte unter ihrem Flug.) Traumgekrönt, 1897
- Lichtgetänzel, Larenopfer, 1895
- lichtgeweckt (Die Vögel jubeln – lichtgeweckt) Larenopfer, 1895
- mandelschmal (eine mandelschmale Jungfrauenhand) die Zaren, Das Buch der Bilder, 1906
- Morgennebeldämmern (siehe Zitate)
- morgenmatt (Beim morgenmatten Lampenlicht) Advent, 1898
- Muttermühn (Wird Dein junges Muttermühn / Kinderhemdchen säumen.) Advent, 1898
- schönerschreckt (Da ward auch die zur Frucht Erweckte, / die schüchterne und schönerschreckte, / die heimgesuchte Magd geliebt.) Das Stunden-Buch, 1905
- sehnsuchtsblass (und den Mund, den sehnsuchtsblassen) Advent, 1898
- Schwingenschmelze (ein Schmetterling mit blauem Schwingenschmelze) Traumgekrönt, 1897
- Silberfunkenkleid (die Nacht im Silberfunkenkleid streut Träume) Traumgekrönt, 1897
- Silberhobelspäne (und neckend streut er das Gesträhne / der weißen Silberhobelspäne) Larenopfer, 1895
- silberstill (an silberstillen Teichen) Advent, 1898
- silbersträhnig (das Mondlicht windet silbersträhnig / sich um den schwarzen Kirchturmknauf) Larenopfer, 1895
- silberübersät (im silberübersäten Seidenkleid) Larenopfer, 1895
- Stäubchentreiben (sternt es ins Stäubchentreiben oder zu mir herein?) Traumgekrönt, 1897
- Sterbestubenstille, Traumgekrönt, 1897
- sternetriefend (wenn sich die Mainacht, sternetriefend, / auf mäuschenstille Plätze legt) Traumgekrönt, 1897
- Träumermiene (und schaut mit ernster Träumermiene) Larenopfer, 1895
- waldseerein (in sein Herz, sein waldseereines) Larenopfer, 1895
- Weinblattdämmer (im Weinblattdämmer – du und ich – / und über uns in duftgen Ranken) Traumgekrönt, 1897
- wonnewild (mit wonnewilder Kraft) Traumgekrönt, 1897, das Wort findet sich auch bei Ringelnatz.
- Wortverworrenheit, Dass Buch der Bilder, 1906
Beispiele aus Rilkes Gedichten
Am offnen Stubenfenster lehn ich
und träume in die Nacht hinauf;
das Mondlicht windet silbersträhnig
sich um den schwarzen Kirchturmknauf.
Larenopfer: Vigilien, 1895
Klage
O wie ist alles fern
und lange vergangen.
Ich glaube der Stern,
von welchem ich Glanz empfange,
ist seit Jahrtausenden tot.Ich glaube im Boot
das vorüberfuhr,
hörte ich etwas Banges sagen.
Im Hause hat eine Uhr
geschlagen …In welchem Haus? …
Ich möchte aus meinem Herzen hinaus
unter den großen Himmel treten.
Ich möchte beten.
Und einer von allen Sternenmüßte wirklich noch sein.
Ich glaube ich wüsste
welcher allein
gedauert hat,
welcher wie eine weiße Stadt
am Ende des Strahls in den Himmeln steht …
Die Klage stammt aus dem Buch der Bilder, 1906
und sie sprachen mich anders an.
Ich trat in die Gasse hinaus und sieh:
die ist wie mit Saiten bespannt;
da wurde Marie Melodie, Melodie …
und tanzte von Rand zu Rand.die Leute schlichen so ängstlich hin,
wie hart an die Häuser gepflanzt, –
denn das darf doch nur eine Königin,
daß sie tanzt in den Gassen: tanzt! …
Buch der Bilder: Der Wahnsinn, 1906
Tausend Tränen reden
ewig ungestillt, – –
und in einer jeden
spiegelt sich dein Bild.
Nachtgedanken, 1894
Dann bog sie Rosen sich ins Haar, –
Und konnte doch nie Liebe glauben
Auch wenn es tief im Frühling war.
Advent: Sie war, 1898
Mein Herz macht Sehnsucht hämmern. Was ist doch Sehnsucht? Sag! Ein Morgennebeldämmern am Liebeslenzestag.
Denn ist er dann vergangen der Nebel, der die Au bedrückt, bleibt auf den Wangen der Blumen heller Tau.
Und mildert sich das Sehnen, bleibt in des Menschen Blick wohl auch der Tau der Tränen noch lange oft zurück.
Sehnsuchtsgedanken, zitiert ist Teil V
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Werkstattbericht
Das Beitragsbild stammt von Pixabay. Die verwendeten Google Fonts sind BenchNine und PT Sans. Textrecherche in Rilkes Werken via Wikisource und Projekt Gutenberg.
Einfach wunderbar, diese Worte von Rilke. Danke dafür!
… ☺️